Neuigkeiten - Recht

Eigenbedarfskündigung: Entfernte Familienangehörige gehören nicht zum privilegierten Personenkreis

Das Mietrecht kennt die Eigenbedarfskündigung, die zumeist dann vorkommt, wenn der Vermieter selbst oder einer seiner Familienangehörigen in die vermietete Wohnung einziehen möchte. Wer mietrechtlich in den Kreis der Familienangehörigen überhaupt einbezogen werden kann, um durch eine Eigenbedarfskündigung einziehen zu dürfen, definierte kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH).

Das Mietrecht kennt die Eigenbedarfskündigung, die zumeist dann vorkommt, wenn der Vermieter selbst oder einer seiner Familienangehörigen in die vermietete Wohnung einziehen möchte. Wer mietrechtlich in den Kreis der Familienangehörigen überhaupt einbezogen werden kann, um durch eine Eigenbedarfskündigung einziehen zu dürfen, definierte kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH).

In eine vermietete Wohnung sollte ein Cousin der Eigentümerin einziehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) definiert (§ 1589) die verschiedenen Grade der Verwandtschaft, wobei ein Cousin oder eine Cousine - Sohn bzw. Tochter von Onkel und/oder Tante - dem vierten Grad der Verwandtschaft entspricht. Nun ging es um die Frage, ob eine Eigenbedarfskündigung für den Einzug eines Cousins als Angehöriger eben dieses vierten Verwandtschaftsgrads überhaupt ausgesprochen werden könne, als gegen die Mieter eine Räumungsklage erhoben wurde.

Die Räumungsklage wurde abgewiesen. Das Gericht legte die Begriffe "Familie" (§ 577a Abs. 1a Satz 2 BGB) und "Familienangehörige" (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) aus. Es werden ausschließlich diejenigen Personen umfasst, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 Zivilprozessordnung, § 52 Strafprozessordnung zusteht, die also gemäß diesen Paragrafen eine Aussage vor Gericht verweigern dürfen, weil sie beispielsweise mit dem Angeklagten verwandt sind. Das trifft auf einen Cousin nun aber nicht zu, da er für dieses Recht eine zu ferne Verwandtschaft aufweist. Somit gehört er selbst auch dann nicht zu dem im Mietrecht privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihm und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht.

Hinweis: Endlich gibt es Rechtssicherheit durch den BGH, wer unter den Begriff der Familie im Sinne der Eigenbedarfskündigung fällt. Eine lange und überfällige Entscheidung, die Rechtssicherheit mit sich bringt.


Quelle: BGH, Urt. v. 10.07.2024 - VIII ZR 276/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Dokumentation durch Arbeitgeber: Fristlose Kündigung nach sexueller Belästigung einer Auszubildenden rechtmäßig

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu beschützen. Im folgenden Fall vor dem Arbeitsgericht Solingen (ArbG) ist der Arbeitgeber dieser Verpflichtung dadurch nachgekommen, dass er die fristlose Kündigung seines Arbeitnehmers auf ein stabiles Fundament aufgrund der lückenlosen Dokumentation stellen konnte.

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu beschützen. Im folgenden Fall vor dem Arbeitsgericht Solingen (ArbG) ist der Arbeitgeber dieser Verpflichtung dadurch nachgekommen, dass er die fristlose Kündigung seines Arbeitnehmers auf ein stabiles Fundament aufgrund der lückenlosen Dokumentation stellen konnte.

Ein Arbeitnehmer war zunächst als Leiharbeiter im Bereich Lagerlogistik tätig und wurde im Jahr 2022 vom Entleiher unbefristet in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Mehrere Arbeitskolleginnen informierten am 28.08.2023 den direkten Vorgesetzten darüber, dass eben jener Arbeitnehmer eine Auszubildende mehrfach sexuell belästigt habe. Der Arbeitgeber leitete Ermittlungen ein und hörte die Auszubildende und den Arbeitnehmer an. Die Auszubildende schilderte, dass sie mehrfach von dem Arbeitnehmer am Bein, Hintern, der Brust und im Schritt berührt worden sei. Zudem habe er auch ihre Hand an seinen Schritt gelegt. Sie habe zwar andere Kolleginnen gewarnt, sich selbst jedoch nicht getraut, den Arbeitnehmer bei Vorgesetzten zu melden. An einem anderen Tag habe der Arbeitnehmer sich an ihr gerieben und sie zum Oralverkehr aufgefordert. Aus Angst habe sie mitgemacht. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung. Der Arbeitnehmer klagte hiergegen und bestritt sämtliche Anschuldigungen. Diese seien frei erfunden und strafbare Verleumdungen.

Das ArbG wies die Klage ab - die fristlose Kündigung war wirksam. Der Arbeitgeber habe den Sachverhalt umfassend ermittelt und Protokolle der Gespräche mit der Auszubildenden, weiteren Kollegen sowie WhatsApp-Chat-Protokolle vorgelegt. Aus diesen hätten sich nachvollziehbar und glaubhaft mehrere sexuelle Belästigungen durch den Arbeitnehmer ergeben. Dieser habe die Angst und Unsicherheit der Auszubildenden sowie seine Machtposition ausgenutzt. Anderslautende Erklärungen oder Darstellungen des Arbeitnehmers seien nicht glaubhaft und bloße Schutzbehauptungen. Er habe sogar versucht, sich als Opfer darzustellen. Eine Einsicht in Fehlverhalten und eine Entschuldigung seien nicht erfolgt.

Hinweis: Liegt nach langjähriger Tätigkeit im Betrieb ein erstmaliges geringeres Fehlverhalten vor, ist eine Kündigung ohne Abmahnung nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Zu welchen Mitteln ein Arbeitgeber greifen sollte, hängt auch vom sogenannten Nachtatverhalten ab.


Quelle: ArbG Solingen, Urt. v. 11.04.2024 - 2 Ca 1497/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Unfreiwillig in Polen: Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach der EU-Erbrechtsverordnung

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) musste sich in einem Rechtsstreit mit der Frage beschäftigen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der europäischen Erbrechtsverordnung gesprochen werden kann.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) musste sich in einem Rechtsstreit mit der Frage beschäftigen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der europäischen Erbrechtsverordnung gesprochen werden kann.

Der Erblasser, ein deutscher Staatsangehöriger, verstarb im Oktober 2023 in einem polnischen Pflegeheim. Vor seinem Tod hatte er in Deutschland gelebt und war aufgrund einer Demenzerkrankung im April 2023 gegen bzw. zumindest ohne seinen Willen von der Ehefrau in einem Pflegeheim in Polen untergebracht worden. Eine familiäre oder soziale Beziehung nach Polen bestand nicht. Nach seinem Tod beantragte seine Witwe beim Amtsgericht Singen (AG) die Ausstellung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Das AG wies den Antrag jedoch zurück, da es sich für international unzuständig erklärte. Es argumentierte, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen gehabt habe, was gemäß der europäischen Erbrechtsverordnung die Zuständigkeit der polnischen Gerichte begründe. Gegen diesen Beschluss legte die Frau erfolgreich Beschwerde ein.

Die zentrale Frage des Beschwerdeverfahrens war, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers befand. Die europäische Erbrechtsverordnung legt fest, dass die Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaats zuständig ist, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dieser gewöhnliche Aufenthalt wird durch eine Gesamtbeurteilung der Umstände bestimmt - darunter die Dauer des Aufenthalts, familiäre Bindungen, sprachliche und soziale Verbindungen sowie die Absicht des Erblassers, an einem Ort zu bleiben. Bei pflegebedürftigen Personen ist der Wille zur Begründung eines dauerhaften Aufenthalts besonders wichtig.

Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass der Erblasser trotz seines Aufenthalts in einem polnischen Pflegeheim seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Der Erblasser sprach kein Polnisch, hatte keine sozialen Kontakte in Polen und war gegen seinen Willen in das Pflegeheim gebracht worden. Auch sein gesamtes Vermögen sowie seine familiären Bindungen lagen in Deutschland. Daher sei der Erblasser in Polen nicht dauerhaft ansässig gewesen. Die Verlegung in das polnische Pflegeheim erfolgte nur aus finanziellen Gründen, da die Pflegekosten in Polen günstiger waren als in Deutschland. Da der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers weiterhin in Deutschland lag, war die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben. Das AG wurde somit für die Erteilung des Erbscheins als zuständig erklärt und die Sache zur weiteren Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Hinweis: Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist in objektiver Hinsicht der tatsächliche Aufenthalt im Sinne einer körperlichen Anwesenheit erforderlich. Unschädlich ist eine vorübergehende Abwesenheit, wenn der Wille bestand, an den Ort des Aufenthalts zurückzukehren.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.07.2024 - 14 W 50/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Erbschaftsausschlagung: Anfechtung bei relevantem Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses

Wer einen überschuldeten Nachlass zu erben droht, kann diese drohende Last rechtzeitig ablehnen und das Erbe ausschlagen. Was aber passiert, wenn man erst danach von Vermögenswerten des Erblassers erfährt, und welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um doch noch in den Genuss der Erbschaft zu kommen, zeigt die folgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Wer einen überschuldeten Nachlass zu erben droht, kann diese drohende Last rechtzeitig ablehnen und das Erbe ausschlagen. Was aber passiert, wenn man erst danach von Vermögenswerten des Erblassers erfährt, und welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um doch noch in den Genuss der Erbschaft zu kommen, zeigt die folgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Die im Jahr 2021 verstorbene Erblasserin verstarb, ohne ein Testament zu hinterlassen. Nach dem Tod ihrer Mutter schlug die Tochter das Erbe aus, da sie annahm, dass es keine Vermögenswerte gebe und nur Schulden im Nachlass seien. Diese Annahme beruhte auf den chaotischen Lebensumständen ihrer Mutter, die Zeit ihres Lebens an einer Alkoholerkrankung litt und mit der die Tochter seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr hatte. Schließlich schlug auch der Bruder der Erblasserin die Erbschaft aus, ebenso wie dessen Töchter. Das Nachlassgericht setzte daraufhin einen Nachlasspfleger ein, um sich um den Nachlass zu kümmern. Im Februar 2022 erhielt die Tochter ein Schreiben des Nachlasspflegers, in dem sie erfuhr, dass es ein Guthaben von über 72.000 EUR auf einem Konto und einem Sparbuch der Erblasserin gäbe. Die Tochter erklärte daraufhin die Anfechtung der Erbausschlagung, da sie über den tatsächlichen Wert des Nachlasses im Irrtum gewesen sei, und beantragte einen Alleinerbschein. Der Großneffe der Erblasserin widersprach dem Antrag der Tochter und argumentierte, dass die Ausschlagung bewusst erfolgt sei und kein rechtlich relevanter Irrtum vorliege. Zudem habe die Tochter kein Interesse an der Erblasserin gehabt und sich weder um sie noch um den Nachlass gekümmert.

Nachdem zunächst das Nachlassgericht entschieden hat, dass es sich nicht um einen relevanten Irrtum der Tochter gehandelt habe und diese daher nicht berechtigt sei, die Erbschaftsausschlagung anzufechten, hob das OLG diese Entscheidung auf. Es befand, dass die Tochter irrtümlich falsche Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses gehabt habe und daher berechtigt gewesen sei, die Ausschlagung anzufechten. Die Tochter habe ausreichende Nachforschungen über die Werthaltigkeit des Nachlasses angestellt. Auf der Grundlage der Aussage der Polizei über die Todesumstände der Mutter und die Recherchen über den schlechten Zustand der Wohnung sowie der Lebensumstände der Erblasserin sei sie als Erbin zunächst zu dem Schluss gekommen, dass es keine wertvollen Vermögensgegenstände gegeben habe. Der Irrtum über die Existenz des Guthabens auf dem Konto war entscheidend für die Ausschlagung, und die Tochter hätte das Erbe nicht ausgeschlagen, wenn sie davon gewusst hätte.

Hinweis: Unternimmt ein potentieller Erbe hingegen keinerlei Nachforschungen über die Zusammensetzung des Nachlasses und beruhen seine Fehlvorstellungen ausschließlich auf zeitfernen Informationen, liegt wiederum die Annahme eines unbeachtlichen Irrtums nahe.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2024 - 21 W 146/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Wegfall eines Arbeitsplatzes: Aufteilung von Restaufgaben muss konkret dargestellt werden

Mit diesem Urteil wird deutlich, welche Argumente Arbeitgeber vortragen müssen, um bei einer Einsparung von Personal vor den Arbeitsgerichten erfolgreich zu sein. Das Arbeitsgericht Erfurt (ArbG) musste davon überzeugt werden, dass die betriebsbedingte Kündigung eines Hauswarts unvermeidlich war. Und so viel sei gesagt: Es ist dem Arbeitgeber nicht gelungen.

Mit diesem Urteil wird deutlich, welche Argumente Arbeitgeber vortragen müssen, um bei einer Einsparung von Personal vor den Arbeitsgerichten erfolgreich zu sein. Das Arbeitsgericht Erfurt (ArbG) musste davon überzeugt werden, dass die betriebsbedingte Kündigung eines Hauswarts unvermeidlich war. Und so viel sei gesagt: Es ist dem Arbeitgeber nicht gelungen.

Ein 61-jähriger Arbeitnehmer war in einem Hotel als einziger Hausmeister beschäftigt. Dann kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Durch den Geschäftsführer sei eine Unternehmensentscheidung zur Kostenreduzierung getroffen worden - insbesondere zur Reduzierung der Personalkosten. In Umsetzung dieser Kostenreduzierung sei der Beschäftigungsbedarf des Arbeitnehmers weggefallen. Einige Tätigkeiten des Arbeitnehmers seien eingestellt oder ausgelagert worden. Die verbliebenen Arbeiten könnten unproblematisch auf die anderen Mitarbeiter verteilt werden - diese hätten immer Freiräume zur Übernahme zusätzlicher Arbeiten. Das wollte sich der Arbeitnehmer so nicht gefallen lassen und legte erwartungsgemäß eine Kündigungsschutzklage ein. Insbesondere behauptete er, die von ihm erledigten Tätigkeiten könnten nicht ohne weiteres auf andere Arbeitnehmer übertragen werden. Dabei würden Überstunden bei anderen Arbeitnehmern anfallen.

Das ArbG gab dem Arbeitnehmer Recht und meinte ebenfalls,  dass die Kündigung sozialwidrig sei. Erschöpfe sich die unternehmerische Entscheidung im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, sei diese vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Der Arbeitgeber hätte seine Entscheidung hinsichtlich der organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit der Arbeitsaufteilung verdeutlichen müssen. Nur so könne ein Gericht überhaupt erst prüfen, ob der Arbeitsplatz wirklich weggefallen sei. Hier habe der Arbeitgeber nicht einmal konkret dargelegt, mit welchen Zeitanteilen der Arbeitnehmer seine jeweiligen Aufgaben wahrgenommen hat. Der Vortrag hierzu war viel zu pauschal und für das ArbG nicht nachprüfbar gewesen. Auch fehlte es an konkretem Vortrag, welche der bisherigen Aufgaben von anderen Mitarbeitern in welchem Umfang bereits übernommen wurden.

Hinweis: Es hätte das Arbeitsvolumen der bisherigen Mitarbeiter dargestellt werden müssen, um zu prüfen, ob die anfallenden Arbeiten von ihnen ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden könnten. Der Arbeitgeber hatte hier entweder gar nichts dazu vorgetragen oder nur pauschal behauptet, die Tätigkeiten seien von den übrigen Mitarbeitern ohne obligatorische Arbeit zu erledigen gewesen. So konnte der Arbeitgeber die Kündigungsschutzklage nicht gewinnen.


Quelle: ArbG Erfurt, Urt. v. 23.04.2024 - 6 Ca 40/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Vergütung eines Nachlasspflegers: Wer der Vergütungsgruppe 1 zugerechnet werden will, muss entsprechende Kriterien erfüllen

Das Oberlandesgericht Köln (OLG) musste sich im Folgenden mit einem Vergütungsantrag eines Nachlasspflegers auseinandersetzen, der zur Sicherung, zur Verwaltung sowie zur Erbenermittlung nach dem Tod des Erblassers eingesetzt wurde. Man ahnt zu Recht: Hier gab es unterschiedliche Auffassungen über die Vergütungshöhe.

Das Oberlandesgericht Köln (OLG) musste sich im Folgenden mit einem Vergütungsantrag eines Nachlasspflegers auseinandersetzen, der zur Sicherung, zur Verwaltung sowie zur Erbenermittlung nach dem Tod des Erblassers eingesetzt wurde. Man ahnt zu Recht: Hier gab es unterschiedliche Auffassungen über die Vergütungshöhe.

Im Februar 2024 stellte der Nachlasspfleger einen Antrag auf eine Vergütung in Höhe von etwa 9.300 EUR und begründete den Stundensatz von 120 EUR mit seiner Qualifikation, dem Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens, einer abgeschlossenen Referendarzeit sowie seiner Zusatzqualifikation als Nachlasspfleger. Darüber hinaus machte er aufgrund der seit Juli 2021 anhaltenden hohen Inflation einen Aufschlag von 10 % geltend. Das Nachlassgericht setzte jedoch lediglich eine Vergütung von 7.600 EUR fest und hielt hierbei einen Stundensatz von 100 EUR für ausreichend und angemessen.

Dem schloss sich im Ergebnis auch das OLG nach einer eingelegten Beschwerde des Nachlasspflegers an. Es stellte fest, dass die vom Nachlasspfleger angeführten Qualifikationen - wie das erste Staatsexamen und die Referendariatszeit - nicht mit denen von Berufsgruppen in der "Vergütungsgruppe 1" (beispielsweise Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) vergleichbar seien. Zwar habe der Nachlasspfleger das erste Staatsexamen abgelegt und zwei Jahre als Referendar gearbeitet, jedoch sei dies nicht gleichwertig mit dem zweiten Staatsexamen oder anderen beruflichen Abschlüssen in der "Vergütungsgruppe 1". Daher sei die Einstufung in die "Vergütungsgruppe 2" korrekt gewesen. Der Schwierigkeitsgrad der Pflegschaft wurde hier auch nicht als hoch eingestuft. Richtig sei zwar, dass die Lebenshaltungskosten seit 2021 gestiegen seien. Dieser Umstand wurde aber bereits bei der Erhöhung des Stundensatzes auf 100 EUR vom Nachlassgericht ausreichend berücksichtigt.

Hinweis: Aspekte für den Vergütungsanspruch eines Nachlasspflegers sind dessen fachliche Qualifikationen sowie die Frage, mit welchem Aufwand bzw. Schwierigkeitsgrad die Bearbeitung der Pflegschaft verbunden ist.


Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2024 - 2 Wx 94/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Auch Gewinner zahlen: BGH urteilt über Prozesskostenumlage nach Klage gegen Wohnungseigentumsbeschluss

Wenn eine Wohnungseigentumsgemeinschaft beschließt, Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf alle Wohneinheiten umzulegen, stellt sich die Frage, was mit Prozesskosten geschieht, die nach einer Klage gegen einen durch die Gemeinschaft gefassten Beschluss anfallen. Das diesbezügliche Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird sicherlich nicht allen gefallen.

Wenn eine Wohnungseigentumsgemeinschaft beschließt, Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf alle Wohneinheiten umzulegen, stellt sich die Frage, was mit Prozesskosten geschieht, die nach einer Klage gegen einen durch die Gemeinschaft gefassten Beschluss anfallen. Das diesbezügliche Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird sicherlich nicht allen gefallen.

Hier ging es um eine Wohnungseigentumsgemeinschaft mit insgesamt acht Wohnungseigentumseinheiten. In der Gemeinschaftsordnung war geregelt, dass die Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf diese Wohneinheiten umgelegt werden. Als dann drei Parteien gegen einen gefassten Beschluss klagten und gewannen, wurde die gesamte Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verurteilt, die Kosten des Vorprozesses zu tragen. Schließlich beschlossen die Eigentümer, diese Kosten durch eine Sonderumlage zu finanzieren, für den dann für jede Wohnungseigentumseinheit ein Betrag in Höhe von 800 EUR gezahlt werden sollte. Demnach sollten also auch jene Kläger zahlen, die das Verfahren ja eigentlich gewonnen hatten. Und da sie ja nun nachweislich wussten, wie es geht, zogen eben jene Kläger gegen diesen Beschluss erneut vor Gericht - dieses Mal jedoch ohne Erfolg.

Auch die zuvor vor Gericht Erfolgreichen mussten die anteiligen Kosten tragen, obwohl sie die diesbezügliche Klage gewonnen hatten. Der BGH hat entschieden, dass Prozesskosten, die der unterlegenen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in einem Beschlussklageverfahren auferlegt worden sind, zu den Kosten der Verwaltung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 Wohnungseigentumsgesetz gehören. Daher sind sie nach dem allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel umzulegen, sofern keine abweichende Regelung getroffen worden ist. Dies führt dazu, dass auch drei Parteien die Prozesskosten der unterlegenen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer anteilig mitfinanzieren mussten.

Hinweis: Spannend bleibt die Frage, ob vor der Vereinbarung einer Sonderumlage auch eine Beschlussfassung zur Änderung der Kostenverteilung für Gerichtsverfahren möglich ist. Vieles spricht dafür.


Quelle: BGH, Urt. v. 19.07.2024 - V ZR 139/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Das bayerische Fensterrecht: 80 % der betroffenen Fenster und Balkontür blickdicht zu verlangen, stellt unbillige Härte dar

Nachbarschaftsrecht ist Ländersache, und so kommt es im Süden der Bundesrepublik zu einem Anspruch im wohnlichen Nebeneinander, das sich "Bayerisches Fensterrecht" nennt. Im folgenden Fall, der vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) landete, ging es um die Frage, ob dieser Anspruch bei dafür gegebenen Voraussetzungen immer durchsetzbar ist.

Nachbarschaftsrecht ist Ländersache, und so kommt es im Süden der Bundesrepublik zu einem Anspruch im wohnlichen Nebeneinander, das sich "Bayerisches Fensterrecht" nennt. Im folgenden Fall, der vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) landete, ging es um die Frage, ob dieser Anspruch bei dafür gegebenen Voraussetzungen immer durchsetzbar ist.

Durch die Teilung eines Grundstücks wurde ein Haus zu einem Grenzbau. Mehrere Fenster sowie eine Balkontür hatten weniger als 60 cm Abstand zur Grundstücksgrenze. Deshalb verlangte der Nachbar, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich ist. Eine Anspruchsgrundlage ergebe sich aus dem bayerischen sogenannten "Fensterrecht".

Eine entsprechende Klage wies das OLG jedoch ab. Die auf das "Fensterrecht" gestützten Anspruchsvoraussetzungen waren zwar grundsätzlich gegeben, die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall stellte in der Gesamtwürdigung aber eine unbillige Härte dar. Maßgeblich war, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und damit eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung nicht mehr gewährleistet sei. Zudem war zu berücksichtigen, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände war die Ausübung des Fensterrechts hier daher unzulässig.

Hinweis: Anhand des Falls ist durchaus erkennbar, dass auch Gerichte praxisgerechte Lösungen suchen. Der normale Menschenverstand hilft bei der Rechtsfindung eben häufig auch mit.


Quelle: OLG Nürnberg, Urt. v. 18.06.2024 - 6 U 2481/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Zurückgetretene Betriebsgefahr: Radfahrer haftet voll für Unfallfolgen nach seinem Vorfahrtsverstoß

Die sogenannte Betriebsgefahr soll jedem Autofahrer vor Augen führen, dass das Führen eines Kfz im Straßenverkehr stets mit Gefahren verbunden ist. Die Folge ist, dass durch ihn bzw. sein Fahrzeug verursachte Schäden auch nach fehlerfreiem Fahren immer auch ein Stück weit "auf seine Kappe" gehen - zumindest zu einem Prozentsatz. Aber natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, und das Landgericht Lübeck (LG) hatte eine solche zu bewerten.

Die sogenannte Betriebsgefahr soll jedem Autofahrer vor Augen führen, dass das Führen eines Kfz im Straßenverkehr stets mit Gefahren verbunden ist. Die Folge ist, dass durch ihn bzw. sein Fahrzeug verursachte Schäden auch nach fehlerfreiem Fahren immer auch ein Stück weit "auf seine Kappe" gehen - zumindest zu einem Prozentsatz. Aber natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, und das Landgericht Lübeck (LG) hatte eine solche zu bewerten.

Ein Fahrradfahrer fuhr an einer Landstraße auf einem Radweg, der einen Autobahnzubringer kreuzt - eine Stelle, an der der Autoverkehr Vorfahrt hat. Dem Radfahrer kam dort eine Autofahrerin entgegen, die über diesen Zubringer auf die Autobahn fahren wollte. Als sich die beiden Fahrwege kreuzten, kam es zum Unfall, bei dem der Fahrradfahrer schwer verletzt wurde. Dieser verlangte von der Autofahrerin Schmerzensgeld zu einer Quote von 2/3. Der Radfahrer hat als Kläger vorgetragen, dass er zwar die Vorfahrt missachtet habe, die Autofahrerin aber zu schnell gefahren sei und zudem freie Sicht gehabt habe - sie hätte den Unfall also vermeiden können.

Das LG hat die Klage des Radfahrers als unbegründet abgewiesen und eine Haftung der Autofahrerin verneint. Grundsätzlich besagt die sogenannte Betriebsgefahr zwar, dass der Halter eines Autos immer für Schäden, die durch sein Auto entstanden sind, haftet - ganz egal, ob er einen "Fehler" gemacht hat oder nicht. Die dahinterstehende Idee des Gesetzes ist: Ein Auto im Straßenverkehr zu bewegen, ist per se gefährlich. Wer das tun will, muss für daraus entstehende Schäden haften. Bei einem schwerwiegenden Fehler des Unfallgegners kann diese Betriebsgefahr allerdings zurücktreten -  eine Haftung des Halters scheidet dann aus. Hier hatte das LG Zeugen befragt und ein Gutachten eines technischen Sachverständigen eingeholt. Daraus hat sich ergeben, dass die Autofahrerin nicht zu schnell, sondern eher langsam gefahren war und dennoch keine Zeit mehr gehabt hatte, zu reagieren. Der Sachverständige hat dem Gericht plausibel und überzeugend aufgezeigt, dass die beklagte Autofahrerin die Vorfahrtsverletzung des Klägers erst etwa eine Sekunde vor der Kollision erkennen konnte. Damit war keine ausreichende Zeitspanne verblieben, um noch auf das Geschehen reagieren und den Unfall vermeiden zu können. Der Vorfahrtsverstoß durch den Fahrradfahrer wiegt demgegenüber so schwer, dass die Betriebsgefahr auf Seiten der Autofahrerin verdrängt werde.

Hinweis: Bei einer Kollision zwischen einem vorfahrtsberechtigten Pkw und einem Radfahrer haftet der Radfahrer dann voll, sobald seinerseits ein grober Vorfahrtsverstoß feststeht, jedoch keinerlei gefahrerhöhende Umstände auf Seiten des Autofahrers. Kommt es auf einer Kreuzung zu einer derartigen Kollision, ist von einer überwiegenden Verursachung des Unfalls durch den wartepflichtigen Fahrradfahrer auszugehen.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 17.01.2024 - 6 O 8/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Inkonsequente Beschilderung: Autofahrer müssen nicht allein durch Wechsel des Straßenbelags auf Ende der Parkfläche schließen

Skurrile Bilder von Schilderwäldern auf deutschen Straßen kennt wohl jeder. Im Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) hatte es ein Autofahrer aber mit dem Gegenteil dessen zu tun, was die meisten Verkehrsteilnehmer zu überfordern droht. Hier fehlte es nämlich an einem entscheidenden Schild - zumindest auch nach Ansicht des OLG. Doch die Kollegen des Amtsgerichts (AG) waren zuvor noch anderer Meinung.

Skurrile Bilder von Schilderwäldern auf deutschen Straßen kennt wohl jeder. Im Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) hatte es ein Autofahrer aber mit dem Gegenteil dessen zu tun, was die meisten Verkehrsteilnehmer zu überfordern droht. Hier fehlte es nämlich an einem entscheidenden Schild - zumindest auch nach Ansicht des OLG. Doch die Kollegen des Amtsgerichts (AG) waren zuvor noch anderer Meinung.

Der Betroffene passierte beim Einbiegen in eine Straße das Verkehrszeichen 290.1, das den Beginn einer eingeschränkten Halteverbotszone anzeigt. In dem darauffolgenden Bereich durften lediglich Anwohner mit einem entsprechenden Parkausweis parken. Etwas später folgte allerdings das Verkehrszeichen 314, das das Parken gegen Entgelt ausdrücklich erlaubt. Dieses Schild zeigte mit einem weißen Pfeil die Richtung an, in der das Parken erlaubt war: Eine durch eingelassene Pflastersteine und eine Bepflanzung gekennzeichnete Fahrbahn von rund 50 Metern Länge. Im Anschluss kehrte die Fahrbahngestaltung wieder zum vorigen Aussehen zurück. Ein zweites Verkehrszeichen 314 - Parkschild mit gegen die Fahrtrichtung zeigendem weißen Pfeil, das ein Ende der beschriebenen Parkzone anzeigte - gab es jedoch nicht. Der Betroffene parkte sein Fahrzeug nach Ende der gesonderten Straßengestaltung rechts am Straßenrand und kaufte sich ein entsprechendes Parkticket. Es kam, wie es kommen musste: Wegen Parkens in einer eingeschränkten Halteverbotszone wurde der Mann verwarnt, und das AG verurteilte ihn wegen fahrlässigen verbotswidrigen Parkens im eingeschränkten Halteverbot zu einer Geldbuße von 25 EUR. Dagegen richtet sich der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Das OLG ließ die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu und hob das Urteil des AG auf. Der Betroffene musste die Geldbuße nicht bezahlen. Das Gericht folgte der Meinung der Vorinstanz nämlich nicht, wonach alleine wegen der unterschiedlichen Fahrbahngestaltung durch Pflaster und Pflanzen erkennbar sei, wo das Parken mit Parkschein erlaubt sei und wo nicht. Eine Begehung einer Ordnungswidrigkeit setze voraus, dass die Anordnung, gegen die verstoßen wird, sichtbar, verständlich und auch bestimmt ist. Das gelte auch für die örtlichen Grenzen, an denen eine Zone beginne und ende. Von einem Kraftfahrzeugführer könne nicht gefordert werden, dass er aufgrund der äußeren Umstände - hier der Gestaltung der gekennzeichneten Fahrbahnfläche - zusätzliche Überlegungen zum möglichen Regelungsinhalt eines Verkehrsschilds anstelle. Da der Anfang der erlaubten Parkfläche durch das Verkehrszeichen 314 mit in Fahrtrichtung weisendem weißen Pfeil gekennzeichnet gewesen sei, dürfe der durchschnittliche Kraftfahrer darauf vertrauen, dass auch das Ende der Parkfläche mit einem gegen die Fahrtrichtung weisenden Pfeil gekennzeichnet werde.

Hinweis: Zwar ist für die Geltung des Zeichens 314 eine Kennzeichnung mit Richtungspfeilen nicht zwingend. Nach der Erläuterung Nr. 1 zu Zeichen 314 (Anlage 3 zu § 42 Straßenverkehrs-Ordnung) kann aber der Anfang des erlaubten Parkens durch einen zur Fahrbahn weisenden waagerechten weißen Pfeil im Zeichen und das Ende durch einen solchen von der Fahrbahn wegweisenden Pfeil gekennzeichnet sein.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 28.06.2024 - II ORbs 26/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)